Warum trotz Lockerungen eine konsequente Einhaltung von Regeln so wichtig ist, um der Verunsicherung und Polarisierung in der Gesellschaft entgegen zu wirken.
Es ist in den letzten Tagen viel
geschrieben worden über die Ausschreitungen in Stuttgart. Laschets Lockdown Laviererei
in Gütersloh.
Übermäßige Polizeigewalt, Gewalt gegen Polizisten und eine
demonstrationsbereite Gesellschaft sind sowohl weltweite Themen, aber auch
inzwischen in Deutschland angekommen.
Grundtenor der Diskussion und Analysen sind der Frust über die mangelnde Freiheit in der Corona Zeit und die „verlorene Jugend“ in der Pandemie.
Schnelle Schulöffnungen und schnelle Lockerungen scheint für viele die richtige Antwort auf den Unmut zu sein.
Mir jedoch fehlt in dieser Überlegung ein wichtiger Aspekt, nämlich der Gedanke, ob einzig Lockerungen wirklich der Heilsbringer sind oder ob sie, in zu ungeregelter und uneinheitlicher Form, nicht gar einen Schritt in die falsche Richtung darstellen können. Mehr Unruhe bringen statt Zufriedenheit, abgesehen von der zweiten Welle. Eines ist klar, die Freiheit in Corona Zeiten hat nichts mit der Freiheit zuvor zu tun und schmeckt ganz anders als früher. Noch ist das ganze Land auf der Suche, wie es sich mit Corona arrangiert und auf längere Sicht lebt. Das Monster hat seinen ersten Schrecken verloren und ist eher einem Schwiegermutter – Bild gewichen. Man arrangiert sich miteinander, mal besser mal schlechter.
Wir befinden uns in einer Zeit, in der jedes Bundesland seine eigenen Regeln aufstellt, diese Regeln teilweise wenig oder sehr langsam durchsetzt und mit Konsequenzen belegt. Freiheit, die von Bundesland zu Bundesland anders verteilt ist und anders gehandhabt und geregelt wird, birgt die Gefahr ungerecht oder beliebig zu wirken. Die Diskussion um die Fleischindustrie macht deutlich, wie leicht es ist, in Deutschland Regeln und Gesetze zu umgehen ohne, dass es wirkliche Konsequenzen hat. Grenzen scheinen dehnbar und verhandelbar.
Kennziffern für einen Lockdown werden erhoben und erst mit deutlicher Verspätung durchgesetzt. All dies hat eine meines Erachtens eine unterschätzte negative Wirkung auf unsere Gesellschaft.
Es stellt sich ein Gefühl der Beliebigkeit ein, das sich in kurzer Zeit auch auf andere Lebensbereiche übertragen lässt. Ein wenig ähnelt es dem Effekt der „broken windows theory“, die besagt, dass Missstände so schnell wie möglich behoben werden müssen, damit sich diese nicht pandemisch ausbreiten und die Gesellschaft durchseuchen.
Ich plädiere nicht für Law and
Order, aber ich denke, dass es in unsicheren Zeiten wichtig ist, dass Menschen
ein Gefühl von Sicherheit spüren.
Sicherheit und Vertrauen entsteht, wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, dadurch,
dass Regeln und Obergrenzen, die eingeführt und kommuniziert werden auch von
allen eingehalten und bei Nichteinhaltung oder Überschreitung Konsequenzen
folgen.
Betrachtet man die Erziehung von Kindern, aber auch andere, erwachsenere
Beziehungsstrukturen, kann man klar sagen, dass Regeln und Konsequenzen nicht
dazu da sind jemanden zu beherrschen oder zu domestizieren, sondern in erster
Linie zu zeigen, dass ein wahrnehmbares Gegenüber existiert, welches einen im
Blick hat und auf einen aufpasst. Das
hat nichts mit Kontrollzwang zu tun, sondern damit, dass Kinder aber auch
Erwachsene ein Gegenüber brauchen, dem sie vertrauen können. Kinder krabbeln
immer wieder zur Steckdose, einerseits, weil sie neugierig sind, aber
andererseits, weil sie immer wieder erfahren wollen, dass ihre Eltern wachsam
sind und sie im Blick haben. So wird Vertrauen geschaffen und gestärkt.
Wer hat nicht schon Kinder erlebt, die vollkommen außer sich sind vor Wut und Verzweiflung und sich erst beruhigen, wenn sie fest – gehalten werden. Pucken ist eine Methode, unruhige Kinder, denen die Welt Angst macht, zu beruhigen… die erwachsene Form findet man in Therapiedecken, welche begrenzen und halten. Ebenso verhält es sich mit klar absteckten Grenzen im gesellschaftlichen Zusammensein. Sie schaffen einen Rahmen, in dem wir uns vertrauensvoll bewegen können ohne die ständige Angst, dass uns jemand wegen 5 Bananen vor dem Supermarkt eins über die Rübe zieht.
Regeln schaffen nicht nur hierarchische Strukturen, die oft abgelehnt werden, Regeln und Einhaltung von Regeln schafft Verbindlichkeit, Vertrauen und Gerechtigkeit. Dies ist etwas, was wir in Zeiten tiefster Verunsicherung brauchen.
Ich glaube, dass es nicht die
mangelnde Freiheit ist, die die Menschen bzw. die Jungend zum Kochen bringt,
sondern ein starkes Gefühl von Verunsicherung, das sich begründet in der nicht
konsequenten Haltung gegenüber Regeln in der Politik. Es wird geöffnet ohne
dass ihnen jemand die Garantie geben kann, dass das alles funktioniert. Die
Länder schaffen Regeln, die sehr unterschiedlich sind wie im Fall von Gütersloh
erst sehr spät eingehalten werden aus Angst, die Wähler zu verprellen, die ja
dringend Lockerungen fordern. Ich glaube, diese Einschätzung ist falsch. Es ist
ein großes Missverständnis, dass die Antwort auf ein tobendes, unzufriedenes
Kind weitere Lockerung und Öffnung ist. Herr Laschet hat durch seine späte Konsequenz
nicht gezeigt, dass er die Menschen im Blick hat. Der Gedanke von noch mehr Freiheit
ist zu kurz gedacht. Das Zögern vor dem Gütersloher Lockdown war sicher gut
gemeint, schafft jedoch ein Bild, dass Regeln jederzeit verhandelbar sind. Diese
Inkonsequenz vermittelt ein Gefühl von Beliebigkeit, welche die Menschen nicht
entlastet, sondern stark verunsichert. Eine gesellschaftliche Polarisierung ist
die Folge.
Aus Verunsicherung tun Menschen viele Dinge. Vielleicht war Stuttgart wie ein
erwachsenes Krabbeln zur Steckdose um zu sein Gegenüber zu Präsenz und
Konsequenz zu provozieren. Eine klare Haltung gibt das Gefühl, das man gehalten
wird und nicht in diesem nicht endenden Corona Strudel verloren geht.