Wie der Lockdown Rollenklarheit von uns fordert
Isolation Tag 10 und mir geht immer öfter der Film Papa ante Portas von Loriot durch den Kopf.
Loriot wird vorzeitig in den Ruhestand versetzt und kommt das erste Mal seit Jahrzehnten tagsüber nach Hause. Es entwickelt sich folgender, kurzer Dialog mit der erschrockenen Ehefrau: „Was machst Du hier?“ Er: „Ich wohne hier!“ Sie: „Aber doch nicht um diese Zeit!“
Loriot mischt sich anschließend in die Haushaltsführung ein und möchte
die nicht vorhandene Beziehung zu seinem Sohn (ist 16, sitzt und spricht) neugestalten.
Dies bringt alles so durcheinander, dass ihn seine Frau ihn in den Keller
verbannen möchte. Loriot möchte alles richtig machen und trotzdem führt es in
ein heiliges Chaos, welches fast die Trennung des Paares zur Folge hat. Kurzum, das ganze System steht im Rahmen
dieser Veränderung der Entlassung des Vaters und der neuen Rolle desselben kurz
vor dem Zusammenbruch.
Was dieser Film implizit geschickt vermittelt ist, dass wenn Veränderungen eintreten,
sich Systeme neu organisieren müssen.
Hier geht es um unterschiedliche Rollen und Rollenklarheit. Nein, nicht um die
heißbegehrten Klopapier-Rollen, sondern um die Rollen, die wir in unseren Beziehungen
einnehmen. Denn diese benötigen besonders in Zeiten, in denen das WIR groß
geschrieben wird durch den Mangel an Außenwelt, erhöhte Aufmerksamkeit. In der
Isolation liegen Beziehungen und Rollen wie unter einer großen Lupe. Missstände
und Unklarheiten treten viel deutlicher zum Vorschein als im normalen Alltag,
in dem jeder seiner Wege geht, sich auf vorgegebene Muster zurückzieht und
Fluchtmöglichkeiten hat.
Die Corona Isolation trifft uns hier mehrfach. Jedes
Familienmitglied muss sich in seine neue Rolle erst einfinden und einruckeln. Die
Kinder brauchen dabei Hilfe, Führung und viel Geduld. Da sind wir als Eltern
gefragt, die Rollenfindung und Abgrenzung den Geschwistern und uns gegenüber zu
unterstützen. Das ist schon fast eine Herkules – Aufgabe. Noch komplexer ist es
bei uns Erwachsenen.
Mangelnde Klarheit über unsere Rollen in unserem Familiensystem, die meist
einhergeht mit einer unklaren inneren Haltung (Was will ich eigentlich? Was ist
mir wichtig?) kann in dieser Ausnahmesituation zu Problemen führen.
Das Gute ist, dass wir in diesen Tagen viel Zeit haben, an diesen
Haltungen und Beziehungen zu arbeiten. Die Isolation zwingt uns zu einer Art unfreiwilligen
Familienaufstellung, die wegen Corona ohne Stellvertreter auskommt. Live und in
Farbe können wir den ganzen Tag nachspüren, wo unser Platz im System ist, was
sich gut oder weniger gut anfühlt und an welcher Stelle wir uns ggf. eine
Veränderung wünschen. So anstrengend und intensiv dies ist, es ist eine große
Chance auf Entwicklung für uns selbst und uns als Familie. Auch Paare ohne
Kinder oder Alleinlebende werden sehr deutlich mit sich und ihrer Rolle in
ihrer Beziehung oder Beziehungen konfrontiert.
Wo bin ich zufrieden, was fehlt mir, wieviel Nähe ist gut und wo hat sich
vielleicht eine zu große Distanz entwickelt.
Um unsere Rollen in Systemen gut spüren zu können, müssen wir uns
klar sein über unsere innere Haltung über unser Anliegen und unsere eigenen
Bedürfnisse. Sind wir in der Lage diese zu spüren und zu äußern, grenzen wir
uns automatisch von unserem Gegenüber ab und erlangen so Klarheit in unserer
Rolle und unserem Handeln. Abgrenzung wird oft Missverstanden als aktives
Grenzen setzen, welches sich in Sätzen wie: „Ich möchte das nicht! Oder „Stop!
So nicht!“ äußert. Das ist im Grunde ein kommunikativer Block. „Ich möchte das
nicht!“ ist das Ende einer kommunikativen Beziehung und birgt wenig Chance auf
Entwicklung. Es ist viel fruchtbarer zu sagen: „Ich möchte gerne…!“ Die Grenzen
sind durch klares Äußern von Bedürfnissen ebenso gesetzt, nur wesentlich
produktiver, da ein Dialog eröffnet wird.
Dies erfordert allerdings ein Gespür dafür, was man will und den Mut, dies zu
formulieren. Klarheit uns selbst und somit auch anderen gegenüber ist vielen
von uns im alltäglichen Hamsterrad ganz oder teilweise verloren gegangen. Eigene
Wünsche und Bedürfnisse sind verschütt gegangen und kaum noch spürbar. Wir
haben uns in gewissen Rollen eingerichtet, glücklich oder unglücklich.
Der kurzzeitige Halt des Rades im Corona-Lock Down bietet die Chance, in uns
hinein zu spüren und diese inneren Weichen neu zu stellen.
So kann es uns gelingen, aus einer Zeit des gezwungenen WIR als
klares, gestärktes ICH hervorzutreten. Wovon wir auch in vielen anderen
Gebieten jenseits des Familiensystems profitieren können.